Das Erste, was im Krieg stirbt, ist die Wahrheit

Ein Gastbeitrag von Karsten Thamm

Über eine wundervolle, kluge und mutige Frau aus Russland und ihre humanitäre Hilfe im Donbass

Ich bin seit langem ein stiller Beobachter der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Ab 2009 habe ich mich langsam und allmählich zu einem Freund Russlands entwickelt. Auslöser waren für mich zum einen ein Interview mit Jochen Scholz, einem Oberstleutnant A.D. der Bundeswehr, zum anderen eine Rede von M. Gorbatschow vor der Hans-Seidel-Stiftung in München. Ich möchte an dieser Stelle über die orange Revolution (2004/2005) oder den Maidan Putsch in Kiew (2014) keine Worte verlieren, auch wenn diese Ereignisse für das Verständnis des Themenkomplexes Ukrainekrieg hier von Bedeutung sind, weil dies den Rahmen dieses Artikels sprengen würde.

Als Ende Februar 2022 die „militärische Spezialoperation“ in Russland gegen die Ukraine begann, war ich, wie viele andere, entsetzt. Nach dem Corona-Terror der Jahre 2020 und 2021 schlitterten zwei osteuropäische Länder in einen Krieg gegeneinander. Als geopolitischer Beobachter war mir bewusst, dass dieser Krieg von der westlichen Wertegemeinschaft provoziert wurde. Mir war auch bewusst, dass aus den Medienkanälen des Westens und den russischen Kanälen keine zuverlässigen Informationen zu erwarten waren. Bekanntlich ist das erste, was im Krieg stirbt, die Wahrheit.


Also machte ich mich auf die Suche nach alternativen Informationsquellen. Den Antispiegel von Thomas Röper kannte ich bereits, weil er auch vor 2022 zu einer meiner – gelegentlich genutzten – Informationsquellen gehörte. Im Laufe des Jahres fand ich dann noch mehr Informationsquellen, meist Telegramkanäle, die nutzbringende Informationen zum Thema Ukrainekrieg zu verkünden wussten. Über den Antispiegel stieß ich auch auf ein Video auf dem Youtube-Kanal von John Mark Dougan, einem Amerikaner, der in Russland politisches Asyl genießt. John Dougan war mehrere Male gemeinsam mit Thomas Röper und anderen im Kriegsgebiet und berichtet auch heute noch regelmäßig davon. Da er kaum Russisch spricht, braucht er für seine journalistische Tätigkeit aus dem Kriegsgebiet einen Übersetzer. So lernte er Maria Lelyanova, die auch Masha (Маша) genannt wird, kennen, die er im August 2022 als Übersetzerin in das Kriegsgebiet mitnahm.


Masha kam nicht damit zurecht, dass sich „ihr Russland“ im Krieg mit dem Brudervolk Ukraine befand. Sie sah das „Z“, mit dem die russische Armee ihre Fahrzeuge im Ukraineeinsatz markiert, als das neue Hakenkreuz ihres Landes, das zu einem faschistischen Nazideutschland oder Nazirussland wurde. Im Frühjahr floh sie aus dieser Realität nach Wladiwostok, an der russischen Pazifikküste.


Auch als John Dougan sie mit in den Donbass nahm, konnte sie sich auf dem Hinweg noch nicht von dem Bild ihres Heimatlandes, das sie in ihrem Kopfe trug, lösen. Vor dem Überqueren der Grenze in den Donbass trafen sich John Dougan und Masha mit Thomas Röper in Rostow am Don. Dort sprach Masha mit Thomas Röper, der zu ihr sagte, dass sie erst in den Donbass fahren solle, danach würde man weitersehen.


Bereits am ersten Tag, so berichtet Masha im Interview mit John Dougan, begann sich ihr Bild über den Krieg und ihr Heimatland zu wandeln, sodass sie nach der Heimkehr nach Moskau, nach ihrem mehrtägigen Aufenthalt im Donbass, verstört war. Ihr wurde klar, dass sie die ganze Zeit einem falschen Weltbild aufgesessen war und dass der Krieg, so bitter und schrecklich er auch ist, aus russischer Sicht unvermeidbar war.

Als die beiden zehn Tage später aus dem Donbass zurückgekommen sind, habe ich in Moskau eine vollkommen verstörte und schockierte Mascha getroffen, denn ihr bisheriges Weltbild ist innerhalb von zehn Tagen im Donbass vollkommen zusammengebrochen.

Antispiegel, „Wie eine Reise in den Donbass eine pro-westliche Aktivistin verändert hat

Wie bereits erwähnt entdeckte ich das Interview mit Masha auf dem Antispiegel, mit dem Kommentar, dass dieses Video leider nur in englischer Sprache verfügbar sei. (Hinweis: dieser Kommentar wurde offenbar im Antispiegel-Artikel entfernt).


Ich sah mir das Video an und war von diesem Interview und von Masha verzaubert und dachte mir: „was für eine mutige und couragierte Frau“. Ich entschloss mich, das Video noch im August 2022 ins Deutsche zu übersetzen. Wenige Tage später verlinkte es der Antispiegel. Es wurde das bisher erfolgreichste Video meines Youtube Kanals.


Masha ist nicht nur eine tolle, mutige und intelligente Frau, sondern auch eine wertvolle Augenzeugin aus dem Donbass, die sich nun zur Aufgabe gemacht hat, den Menschen im Donbass zu helfen und die wahre Geschichte des Donbass in die Welt zu tragen. Nachdem ich einige weitere Videos von John Dougan und anderen übersetzt hatte, nahm ich zu John Dougan Kontakt auf. Im Rahmen dessen wurde Masha auch auf meine Übersetzung aufmerksam, die ihr offensichtlich gut gefiel. Wir nahmen zueinander Kontakt auf.


Eigentlich war mein Plan, Masha im Rahmen der Vorträge von „dieBasis“ und ggf. anderer Veranstaltungen, ihre Geschichte vor einem Auditorium in Deutschland erzählen zu lassen. Sie war auch spontan von dieser Idee begeistert. Sie wäre auch gerne nach Deutschland gekommen, denn Masha hat mal in Hamburg gelebt, mag unser Land. Sie spricht neben ihrem hervorragenden Englisch und ihrer Muttersprache Russisch, auch Deutsch, leider mit wenig Sprechpraxis. Ich habe ihr eine persönliche Einladung geschrieben, die für einen Visumantrag unerlässlich ist. Doch bedauerlicherweise gestaltet sich die Visavergabe derzeit für Russen nicht einfach, und so haben wir uns darauf verständigt, dass wir zumindest ein Interview, zunächst in englischer Sprache (Nachtrag: deutsche Übersetzung), zusammen machen werden. Dieses Interview wird gerade von mir ins Deutsche übersetzt.


Nachdem das Interview fertig geschnitten, überarbeitet und auf dem Kanal von John Dougan hochgeladen war, hatte Masha die Idee, das Ganze in deutscher Sprache zu wiederholen. Begeistert nahm ich ihren Vorschlag an und so kam es zur deutschen Version des Interviews.

Ich bin froh, dass ich Masha kennenlernen und mich zweimal mit ihr unterhalten durfte. Sie ist ein unglaublich spannender und interessanter Gesprächspartner. Sie ist deshalb nicht nur wegen ihres Einsatzes im Kriegsgebiet eine wertvolle Augenzeugin, sondern auch eine interessante Persönlichkeit, die jetzt eine Lebensaufgabe, eine Mission von internationalem Gewicht und Bedeutung für die Menschen im Donbass, gefunden hat. Trotz ihres herausragenden Ansehens ist Masha ihrem Naturell und ihrer netten Art treu geblieben.